Ralf Stegner zum Armutsbeschleunigungsgesetz der Schwarzgelben Bundesregierung

Veröffentlicht am 17.12.2009 in Landespolitik

Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschleunigt in Wirklichkeit das Wachstum der Schulden und der öffentlichen Armut, führt der Vorsitzende der SPDLandtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, in seiner Rede aus.
....... wir müssen die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker an der Solidarität beteiligen.

In diesen dunklen Dezembertagen werden Kindern schöne Märchen vorgelesen, die das Herz anrühren und für Wonne sorgen. Auch im Landeshaus werden Heldengeschichten verbreitet über einen wackeren Ritter, der mit seinem Knappen am 3. Advent auszog, die Kanzlerin das Fürchten zu lehren. Und das Publikum? Wir fragen uns, ob hier nicht eher der Ritter der traurigen Gestalt zu sehen ist oder unter der Ritterrüstung vielleicht eher ein Baron – zu Deutsch Freiherr – steckt, der wie alte und – siehe gestern im Bundestag – sogar brandneue adelige Vorbilder in aller Öffentlichkeit Lügengeschichten erzählt.
Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschleunigt das Wachstum der Schulden und der öffentlichen Armut. Außerdem scheint es ein Verdummungsbeschleunigungsgesetz zu sein. Schwarz-gelb in Bund und Land vermitteln den Bürgern eine Welt, in der wir nur einen schlanken Staat brauchen, gerechte Besteuerung nach Leistungsfähigkeit eigentlich Diebstahl ist und man deshalb privatisieren und die Steuern geradezu senken muss. Dann wandelt sich alles zum Besten und blühende Landschaften entstehen quasi von selbst. Deshalb sind die abstrusen, aber im Wahlkampf unisono verkündeten Steuersenkungspläne in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag des Bundes gekommen. Sie wurden von Koppelin, Carstensen & Co. vor dem 27. September landauf, landab vertreten und danach abgenickt. Völlig überraschend stellt sich nun heraus, dass Steuersenkungen doch tatsächlich dazu führen, dass dem Land und den Kommunen Einnahmen verloren gehen: Jahr für Jahr 70 Mio Euro weniger für’s Land und 60 Mio Euro weniger für die Kommunen. Immerhin: Durch den großartigen Verhandlungserfolg von Ministerpräsident Carstensen bei der Föderalismusreform bekommt Schleswig-Holstein brutto das an Konsolidierungshilfe, was jetzt fehlt. Das ist ein Klassiker aus der Serie „linke Tasche, rechte Tasche“. Und was sagt der FDP-Landesvorsitzende Koppelin in der Frankfurter Rundschau? „Auf Dauer geht es nicht immer weiter, die Ausgaben zu kürzen.“ Gut gebrüllt Löwe. Deswegen könne man dem Gesetz so nicht zustimmen. Soweit sind wir uns hier im Parlament einig, was ja auch in dem im Geiste adventlichen Friedens entstandenen Beschluss des Finanzausschusses deutlich wurde. Aber sind wir wirklich einig? Die neue Glaubwürdigkeit à la Schwarz-Gelb heißt doch: Im Wahlkampf für reiche Erben und Hoteliers wahlversprechen abgeben, nach der Wahl sagen, Schleswig-Holstein könne sich das nicht leisten und müsse dagegen sein, dann – wie alle CDU/FDP-MdBs aus Schleswig-Holstein – im Bundestag für das Gesetz stimmen, dann öffentlich Radau machen und am Schluss klein beigeben und im Bundesrat zustimmen. Merken Sie eigentlich noch was?
Konsequent wäre gewesen, endlich zuzugeben, was wir Sozialdemokraten immer vor und nach der Wahl gesagt haben, dass der Staat für Bildung, Kinderbetreuung, Klimaschutz mehr Geld braucht. Dass Steuersenkungen nett, aber nicht finanzierbar sind. Dass wir im Gegenteil sogar die mit den höchsten Einkommen und Vermögen stärker an der Solidarität beteiligen müssen. Ihr Motto dagegen lautet: Und die Lehre davon ist – selbst der allergrößte Mist zahlt sich irgendwann für irgendjemand aus. Stimmt sogar. Sie bedienen einzelne Wählergruppen wie reiche Erben und Hoteliers. Und dann machen Sie das zu allem Überfluss mit der Kinderförderung auch noch so, dass die mit den höchsten Einkommen am meisten bekommen, die Normalverdiener weniger und die, die es am nötigsten hätten, gar nichts. Das ist falsch und ungerecht und auch noch wirkungslos, weil Sie damit im Gegensatz zu sinnvollen öffentlichen Investitionen keine dauerhaften positiven Wachstumseffekte erzielen können. Womit kamen unsere beiden wackeren Teilnehmer an der Adventskaffeefahrt aus Berlin zurück? Mit Kompensationsheizdecken von der Edelmarke Merkel & Westerwelle.
Wir erinnern uns: In Schleswig-Holstein können sich weder Land noch Kommunen weitere Einnahmeverluste leisten und deshalb bestehen wir auf Kompensation. Nun könnte ein Nörgler einwenden, die Zahlung eines Lösegeldes mache die schändliche Tat nicht ungeschehen, aber Potzblitz: Da droht unser Ministerpräsident mutig, Schleswig-Holstein werde im Bundesrat nicht zustimmen, wenn es keine echte Kompensation gäbe. „Ihr habt sie nicht mehr alle“, soll er in einem Anflug von Wahrheitsliebe der Kanzlerin zugerufen haben. Was ist aber nun eine echte Kompensation? Ein Ausgleich ist das, so findet man das in jedem ordentlichen Lexikon. Also nach meinem Sprach- und Logikverständnis 130 Mio Euro jährlich, also der vollständige Ersatz der Einnahmen, die Schleswig-Holstein durch das Gesetz dauerhaft verloren gehen, durch dauerhafte Zuschüsse oder Einsparungen.
Was haben wir aber dazu in den letzten Tagen und heute gehört? Alle im Raum stehenden Vorschläge übertreffen sich im Bemühen, das Wort Kompensation zu verunstalten, ja ins genaue Gegenteil zu verkehren. Das ist natürlich konsequent, da es sich mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz ja genau so verhält. Außerdem hören wir jetzt plötzlich, um eine Sonderregelung für Schleswig-Holstein sei es nie gegangen. Niemand hatte die Absicht, einen gerechten Ausgleich für Schleswig-Holstein zu fordern. Wie denn nun? Ich dachte immer, Schleswig-Holstein habe besondere Probleme und brauche deshalb besondere Hilfe.
Also kurz zu den Varianten:
Möglichkeit Nr. 1: Mittel für Straßenbau oder Hilfen bei der Hinterlandanbindung der festen Beltquerung. Abgesehen von teuren Kofinanzierungswirkungen wären das immerhin zusätzliche, aber einmalige Zuschüsse, denen dauerhafte Einnahmeausfälle gegenüberstehen.
Möglichkeit Nr. 2: Eine stärkere Beteiligung des Bundes an Bildungsausgaben. Mehr Geld für Bildung, wie von Frau Merkel letztes Jahr in Dresden versprochen, ist zwar bitter nötig – über den gestrigen Bildungshügel a la Bungsberg werden wir ja nachher noch debattieren. Auch hier handelt es sich um einen Ersatz für Mittel, die Schleswig-Holstein sich ohnehin nicht leisten könnte. Eine Kompensation von Einnahmeausfällen ist auch dies nicht, die angebliche Kompensation weder zusätzlich noch dauerhaft. Statt unser um 70 Mio erhöhtes strukturelles Defizit zu verringern, ist das wie bei der Werbung mit Thomas Gottschalk, der zwei Jacken im Sonderangebot kauft und sagt, er hat nun doppelt so viel gespart.
Kommen wir zu Möglichkeit Nr. 3: Der Bund übernimmt großzügig die Trennungskosten der ARGEn. Wieder geht es um die Teillösung eines Problems, das man selbst zu schaffen gedenkt. Würde Frau von der Leyen umsetzen, was 16 Arbeitsminister beschlossen haben, hätten wir per Verfassungsänderung weiterhin die Arbeitsvermittlung aus einer Hand. Erst durch den Murks der Neuregelung entstehen überhaupt die Kosten, für die ein Teilausgleich gegeben werden soll. Also auch hier weder zusätzliche noch dauerhafte Kompensation.
Bleibt die Möglichkeit Nr. 4 – und diese Verknüpfung musste ich wirklich zweimal lesen, weil ich es zuerst nicht glauben konnte: Bei der großen Steuerreform 011 könnte es dann wirklich eine weniger starke Belastung für die Länder geben, so sollen Frau Merkel und Herr Westerwelle am Sonntag versprochen haben. Nun, das ist ja großartig! Gegen den dann geplanten Irrsinn des Schuldenbeschleunigungsgesetzes Nr. 2 sind die jetzigen Einnahmeausfälle ja geradezu Peanuts, wie unser verehrter HSH-Aufsichtsratsvorsitzender Kopper das nennen würde. Schleswig-Holstein soll darunter dann weniger leiden müssen – vorausgesetzt natürlich, Sie stimmen auch dann wieder im Bundesrat zu.
Ach ja, es gibt auch noch die Möglichkeit Nr. 5: Wir vertrauen auf die vage Zusage von Frau Merkel, dass man uns bei der Einhaltung des Verschuldungsverbots bis 2019 noch doller hilft als bisher. Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben, dafür aber eine Schuldenbremse mit Bremskraftverstärker aus Berlin.
Erinnern Sie sich noch, Herr Carstensen, an die letzten Verhandlungen zu den Konsolidierungshilfen? Geht das mal soeben per Handschlag der Kanzlerin? Wo doch der Bund nicht mal weiß, wie er selbst seine Verfassungsvorgaben erfüllen will. Und Herr Schäuble sagt uns gestern im ZDF, dass er dies den Bürgern natürlich auch nicht vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen verraten möchte. Wer soll das denn zahlen? Die anderen Länder? Stimmen die dann noch zu? Wir hören doch, wie begierig Herr Seehofer und Herr Koch darauf warten, endlich der Kieler Regierung hilfreich zur Seite stehen zu dürfen. Nein, Herr Ministerpräsident, all das zeigt, das Licht am Ende des Tunnels ist kein Hoffnungsschimmer für Schleswig-Holstein, sondern der entgegenkommende Zug.
Was wir wirklich bräuchten wäre:
• Ein fairer Entschuldungspakt von Bund, Ländern und Kommunen.
• Gezielte öffentliche Investitionen in Bildungs- und Familieninfrastruktur statt
Steuersenkungen für einzelne Gruppen, die Bund, Ländern und Kommunen
wichtige Mittel für Kindergärten, Schulen und Hochschulen entziehen.
• Investitionen in die Infrastruktur von Netzen und erneuerbaren Energien statt
Steuergeschenke für die Erben von Nettovermögen.
• Und ja, Steuererhöhungen bei denen mit den höchsten Einkommen und Vermögen.
Wenn Sie morgen dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat zustimmen, wenden Sie nicht Schaden vom Volk ab, wie es Ihrem Amtseid entspräche. Dieses Gesetz präsentiert die Scheinlösung für ein Problem, das es ohne schwarz-gelb gar nicht gäbe, wie die Kieler Nachrichten das so treffend geschrieben haben. Nein, Sie handeln gegen die Interessen Schleswig-Holsteins, seiner Kommunen und der Bürgerinnen und Bürger. Sie sagen stolz, Sie hätten für andere die Kohlen aus dem Feuer geholt – das stimmt, insbesondere für Angela Merkel. Verwechseln Sie Frau Merkel nicht länger mit Dulcinea! Legen Sie die schillernde Rüstung ab und machen Sie dem ein Ende, dann wären Sie wirklich ein Held. Aber das wollen Sie nicht, weil unter der Rüstung eben doch nur der alte Pinocchio zum Vorschein kommt, den wir noch von den schönen Demonstrationsplakaten kennen. Die traurige Wirklichkeit ist: Unsere beiden Adventsreisenden aus dem Norden können nicht, was sie tun – wie das im Wahlkampf so großspurig hieß. Nein, die Herren Carstensen und Kubicki tun nur, was sie können und das ist viel zu wenig.
Schleswig-Holstein hätte Besseres verdient!